Wie
soll ich das beginnen? Ich lebe bereits eine geraume Zeit auf der Halbinsel
Samana. Der Grund für das „Auswandern“ war nicht Flucht, um vor irgendwas
Ungesetzlichem zu verschwinden. Es geschah
auch nicht aus dem Grund um ab dem Moment, wo ich hier lebte mit den mir
damals zu Verfügung stehenden Mitteln ein sorgloses Leben führen zu können. Ich hatte zuvor
in meiner alten Wahlheimat Schweiz sehr lange und recht recht gut gelebt und dafür sehr viel
gearbeitet. Viele meiner alten Schweizer Facebookfreunde wissen das.
Der
Grund zum Weggang nach Samana basiert auf dem guten Rat meines damaligen Hausarztes. Der hatte
mir damals nach einer Routine Rundum – Untersuchung, die man mit dem erreichen
des vierzigsten Lebensjahres gerne macht, schlicht erklärt, dass ich mein Leben grundlegend
ändern müsse. Der Grund sei
- zuviel Arbeit
- der daraus
entstehende Stress
- der absolut ungesunde
Lebenswandel als Gastronom
- das daraus
resultierende Übergewicht
- die daraus
resultierende Kurzatmigkeit
- oder schlicht das
Zuviel an dem guten Leben auf einmal, ohne groß selber darüber nachzudenken
Das
ich seiner Meinung nach genau aus diesen Gründen relativ schnell vor die Hunde gehen würde, wenn es mit mir so
weiterginge. Ein sehr netter und offener Mensch, mein Hausarzt. Er meinte, es gäbe zwei Möglichkeiten – friss weiter und stirb oder
mach was ganz Anderes! Nun, mein Hausarzt war damals auch mein Freund. Ein im Jahr zuvor mit
meiner damaligen Frau verlebter Jahresurlaub auf der Halbinsel Samana brachte
mich letztendlich auf die entscheidende Idee, hier leben zu wollen. Ein echtes Bauchgefühl. Was
für eine tolle Ecke auf der Welt. Ich folgte also dem Rat meines Hausarztes. Ich
tat das trotz vieler Bedenken anderer, für mich damals zum Teil sehr wichtiger Menschen.
Vor allem auch unter den Bedenken meiner damaligen Geschäftspartner.
Es
war also kein einfacher Wechsel in eine vermeintliche Freiheit, sondern im Nachhinein war es das
Ende einer persönlichen Aera. Es folgte nun etwas, was die einen Verantwortungslos
nennen würden und was ich heute als eine Art Transformation bezeichne. Denn es
geschah sehr viel. Wo
gehobelt wird, da fallen Späne sagen die einen, oder wo ein Wille ist, da ist
ein Weg! Das meinen die Anderen. Es ging mir persönlich darum, diesen eigenen Weg vor Ort zu
finden. Ein Lebens - Weg ist leider keine mathematische Gerade, sondern etwas bereits zuvor
Entstandenes. Man folgt seinem Weg und der kann auch der sprichwörtliche Holzweg
sein! Das muss man aber erst mal selber merken. Oder nennen wir es anders, sowas
muss man schlicht lernen. Lernen ist und war für mich immer etwas Tolles, aber so
was geschieht bekanntlich nicht von heute auf morgen! Ich bin eh der Meinung,
dass man nie ausgelernt hat. Und so übte ich vor allem eines, hier irgendwie klarzukommen. Das ist sehr schwierig. Das sogenannte Exotische ist gar nicht so exotisch, denn man bewegt
sich schlicht auf unbekanntem Terrain. Das ist die Exotik. Wer das Gegenteil behauptet, der kann
das gerne behaupten – mein Resümee ist, das es nicht einfach ist. Aber das
liegt an einem selber.
Man
kann so einen Neuanfang auf verschiedenen Arten angehen. Das einfachste ist
unter anderem, auf ebenjene zu hören – auf die Anderen. Auf diejenigen, die das bereits gemacht und vermeintlich geschafft haben. Oder anders gesagt, es war und ist eine der
Lieblingsbeschäftigung all der Anderen. Sie wussten stets alles besser und das jeder
auf seine persönliche Art. Schließlich war man selber der sogenannte „Neuzugang“ und hatte keine Ahnung vom Leben vor Ort. Man glaubt zeitweise,
dass man auf den guten Rat und die Hilfe
dieser „alten Hasen“ angewiesen ist. Und etwas vom Schwierigsten war es für mich, hier ein
gesundes Maß zu finden oder zu lernen, zu hier genau zu differenzieren. Heute weiß
ich, wenn ich Las Terrenas damals anders angegangen wäre, hätte ich mir sicher so manches
ersparen können. Es wäre alles anders gekommen. Ob besser oder
schlechte, weiß man nicht. Zumindest aber anders! Trotz allem möchte ich heute
nirgends wo anders leben als hier. Das sogenannte „Grounding“ kam sehr schleichend! Zuerst musste so viel von mir über
Bord geworfen werden - geistiger Ballast, alte Gewohnheiten, der Dünkel, eingebürgerte Denkweisen,
falsche Ansichten, verquerte Einstellungen, angelernte Helvetismen, überholte Wertvorstellungen,
vermeintliche Glaubensfragen, nahezu das ganze bisherige Weltbild. Ich habe das fast alles auf den kopf gestellt und es ist immer noch kein Ende in sicht. In ein paar wenigen Dingen bin ich mir jedoch treu
geblieben, andere sehe ich heute komplett anders als zuvor.
Ich
bin mir z.B. in der Ansicht treu geblieben, dass der jeweilige Mensch das Maß der
Dinge ist. Also man selber! Denn was ein Mensch tut, resultiert immer aus dem, wann, wo und wie
er lebt. Unser Leben wird von unserem Umfeld beeinflusst und auch entsprechend
geprägt, weil wir ein Teil davon sind. Und sowohl hier wie auch da, bleibt sich
eines gleich. Die einen tun, was sie tun müssen, ohne die Regeln dabei bewusst zu
verletzen. Andere Menschen, die sich bewusst über ihr eigenes Umfeld sind,
versuchen ständig, sich über diese einengenden Regeln zu erheben. Oder anders
gesagt, es sind Leute, die gerne nachhelfen, um mehr als das Beste aus ihrem
Leben zu machen und die geltenden Regeln akzeptieren sie eigentlich nicht oder
sie betrachten sie lediglich als umgehbare und somit überwindbare Hürden.
Ein
Bankräuber überfällt dann eine Bank, wenn er zu wissen glaubt, wann und wie er
das am sichersten machen kann. Das mit dem Gesetz und den einzuhaltenden Regeln
hat er bereits hinter sich. Wird er geschnappt, dann war der Moment falsch, er
wurde erwischt und hat ein echtes Problem. Jetzt muss er dieses Problem lösen –
also bracht er genug Einfluss oder Geld und „sein“ Problem hat sich so für ihn
gelöst. Das Spiel beginnt von neuem. Hat es aber geklappt, fragt es sich bloß,
ob sich das nun für ihn gelohnt hat. Für ihn im Moment des „Erfolges“ auf jeden
Fall. Somit glaubt er an weitere gute Momente. Er geht von nun an seinen selbst
gewählten Weg und irgendwann klappt es nicht mehr. Wenn nun auch kein
Schmiergeld mehr nutzt, dann fragt er sich, was denn nun los ist. Und das dies
passieren könnte, ist sehr unwahrscheinlich, denn er lebt in der
Dominikanischen Republik. Wir sind nicht alle Bankräuber, das war nur ein
Beispiel.
Nehmen
wir ein anderes Beispiel. Es ist kurz vor Weihnachten. Und wie alle Jahre
wieder schnellen da die Erwartungen der Leute in die Höhe. Das ist so, als
hätten wir das seit 2011 Jahren in den Genen. Wir erwarten Geschenke und wir
schenken selber. Was wir anderen schenken, hat mit den Mitteln zu tun, die wir dazu
einsetzen oder die uns dazu möglich sind. Sprich, wir Menschen denken in diesem
Zusammenhang in erster Linie an Geld. Denn alle materiellen Dinge kosten Geld.
Wir packen diese materiellen Dinge an Weihnachten in buntes Papier. Wir geben
sie im vermeintlich richtigen Moment dem Menschen, für den dieses Geschenk
gedacht ist. Als Gegenleistung erwarten wir Dank, so was wie Freude oder je
nach Beschenktem ein entsprechenden Gegengeschenk. Das ist nur allzu menschlich
und den meisten geht es so. Einmal im Jahr ist Weihnachten. Oh du Fröhliche!
Das Fest der Liebe ist das Fest des Geldes, des höchsten Jahresumsatzes und der
Dezember ist der Monat mit den höchsten Diebstahl und Einbruchsraten. Danach
flaut dieses Fieber auf ein erträgliches Maß ab. Wer nun meint, das sei nicht
wahr, der belügt sich selber.
Szenenwechsel.
Was sagt eine von ihrem dominikanischen Sohn zu Weihnachten beschenkte dominikanische
Mutter zu dem neuen, schicken und topaktuellem Mobiltelefon als
Weihnachtsgeschenk? Sie weiß genau, dass der Sohn sich das von seinem eigenen Geld
nie leisten kann? Diese Mutter ist eine
gläubige Katholikin, wie so viele in diesem Land. sie geht regelmäßig in die
örtliche Kirche. Sie ist ein anerkanntes Mitglied der Gemeinde. Mit Sicherheit
weiß sie, dass dieses Geschenk jemand anderem zuvor gestohlen wurde. Eventuell
kennt sie ihren Sohn so gut und weiß zumindest, dass nicht er es jemandem
persönlich gestohlen hat. Er hat es nur für wenig Geld irgendeinem Hehler
abgekauft. Für die Mama zu Weihnachten. Besonders an Weihnachten gibt es davon
mehr als genug. Freut sie sich, oder macht ihr das nun ernsthafte Gedanken? Ein
alter Spruch sagt, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Ich weiß
es nicht. Ich weiß aber, das dies hier Gang und gebe ist. Jeder hier weiß das. Ich
lebe wie gesagt schon eine ganze Weile hier! Soll oder muss ich diese Menschen deswegen
nun verachten?
Soll
ich die Menschen in „Cuerva de Aqua“ dafür verachten, weil sie seit sehr langer
Zeit auf fremdem Land gewohnt haben und sie wussten, dass dieses Land ihnen
nicht gehört. Trotzdem haben sie mit ihrem Geld ihre Häuser dort gebaut. Oder
soll ich besser nur die paar Leute unter ihnen verachten, die wissentlich eben genau
dieses Land ohne gültigen Titel an andere „Investoren“ weiter verkauft haben. Denn
auch diese konnten sich doch eigentlich denken, dass hier nicht alles mit
rechten Dingen zugeht. Und diejenigen, die Geld dafür bezahlt haben und es
trotzdem gekauft haben, die wussten wirklich nichts von der Sache? . Soll ich jetzt
einen Staat oder ein Land verachten, in dem so was überhaupt erst im grossen
Stil möglich ist? Oder soll ich jetzt die ausführenden Polizisten verachten,
die ihre „Pflicht“ getan haben und diesen Menschen im staatlichen und
gesetzlichen Auftrag unwiederbringlich ihr Haus und Hof zerstört haben? Oder soll
ich die Auftraggeber dieser Aktion verachten, die angeblichen Besitzer, die
über 20 Jahre mit dieser Aktion gewartet haben. Das sind diejenigen, die es
ohne Probleme mit sich selbst verantworten können, dass da jetzt fast 400
Menschen von heute auf morgen obdachlos geworden sind und die auch zuvor fast
nichts zum Leben hatten. Das sind zum Teil die ärmsten der Armen. Oder soll ich
all die anderen Leute hier und überall verachten, die jetzt vollmundig von
Gesetzen reden, die hier nun nach so vielen Jahren endlich zum tragen gekommen
sind und die da schreien, das dieses Land anscheinend doch ein Rechtstaat sei. Sorry,
all das passt nicht zusammen. Hier haben so gut wie alle versagt oder man kann
keinem einen Vorwurf machen. Fazit ist, das es das Dorf jetzt nicht mehr gibt,
egal wer die Schuld dran trägt.
Ich
rede von Doppelmoral. Ich rede von Ignoranz, von Dummheit, von Geldgier, von
Korruption, von Rückständigkeit. Und ich rede davon, dass hier nicht nur ein
Dorf oder eine Gemeinde zerstört wurde. Hier wurde viel mehr zerstört.
Glauben
sie, dass ich unter diesen Voraussetzungen mit ihnen als Tourist in diese
Gegend fahren würde, die zwar auch jetzt noch zu den schönsten und wildesten
Regionen der Halbinsel Samana gehört. Wie oder warum soll ich ihnen erklären,
was hier passiert ist. Denn die Trümmer liegen da und daran wird sich so
schnell auch nichts ändern. Der Auftrag ist ausgeführt und nach ihm die
Sintflut. Es gibt Menschen, die da jetzt erst recht hinwollen. Nicht nur wegen
dem Nasenloch des Teufels, sondern um diese Tragödie life vor Ort zu sehen und diese
zu fotografieren. So wird aus der Tragödie eine perverse Touristenattraktion.
Die einen werden denn reflektieren – oh mein Gott diese armen Leute, andere sagen,
recht so – das ist die gerechte Strafe.
Jeder wird seinen Senf dazu abgeben, was jedoch nichts an der Tatsache
ändert.
Für
mich ist das Nasenloch des Teufels ab sofort tabu! Es tut mir leid – ich mach
das nicht und will das nicht. Für mich ist diese Region, so schön sie auch ist,
derzeit ein Kriegsschauplatz. Und ich habe ehrlich gesagt Mühe mit allen
Tourveranstaltern, die jetzt trotzdem noch mit Gästen dorthin hinfahren und
denen es scheinbar nichts ausmacht, all diese zerstörten Häuser links und rechts
der Strasse liegen zu sehen. Denn Geschäft ist Geschäft und darum geht es
diesen Leuten. Genau hier hört mein Verständnis auf. Diese Dickfelligkeit ist
eine der Schattenseiten – so oder so.
Apropos
Holzweg! Morgen werde ich mein jetziges Domizil bei Juan und Lulu verlassen.
Ich ziehe zu meiner Lebenspartnerin Norma und werde ab morgen einen neuen Samana
- Lebensabschnitt beginnen. Das wollte ich im Grunde sowieso, nur nicht unter
den aktuellen Umständen. Diese verdanke ich aktuell zum großen Teil jemandem,
für den ich bis vor kurzem, kurz und seriös journalistisch gearbeitet habe.
Derjenige ist schlicht unseren finanziellen Vereinbarungen nicht nachgekommen. Er
habe viel Pech gehabt und mir fehle das dazu nötige Verständnis. Denn er ist seiner
Meinung nach kein „Böser Bube“ – der bin ich, weil ich nicht solidarisch das
Genick eingezogen habe und z.B. so was wie das hier verlautbare. Der sogenannte Witz an der Sache ist, dass
derjenige kein „böser“ Dominikaner ist sondern ein „ehrbarer“ Eidgenosse. Also
ein Schweizer, der nicht hier in der dominikanischen Republik lebt, aber gerne
engagiert von anderen über dieses Land und Haiti schreiben lässt. So einer ist
jemand, der seiner Mutter sicher kein gestohlenes Mobiltelefon zu Weihnachten schenken
würde. Er ist einer von den Leuten, die eigentlich nur Gutes im Schilde führen.
Das er in meinem Fall durch seine schwierigen und persönlichen Umstände mich in
missliche Umstände bringt, mag zwar sein ist aber nicht relevant. Denn er hat ganz
andere Probleme und man muss doch ganz viel
Verständnis und noch mehr Goodwill zeigen. Ansonsten fühlt er sich hintergangen
und verraten in seinem Bestreben, das Richtige zu tun. Darum nennt man diese
Menschen auch „Gutmenschen“. Fröhliche Weihnachten wünsche ich derweil allen
Lesern, denn ab morgen muss ich sehen, wie ich von dort online gehen kann. Es
gibt ja bekanntlich auch Internetcafes. Irgendwas wird sich das ergeben, aber
es herrscht jetzt erst mal Funkstille meinerseits. Das gilt auch für weitere
News zu unserem Projekt „la Casa de Norma“. Sollte jemand Interesse haben,
findet er dort so etwas Altmodisches wie Telefonnummern. Oder er kann mir was
via Marc Braukmann oder andere Leute aus Las Galeras etwas ausrichten lassen –
denn die Buschtrommeln funktionieren auch hier.