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Sonntag, 20. November 2011

Ein persönliches Statement


Wie soll ich das beginnen? Ich lebe bereits eine geraume Zeit auf der Halbinsel Samana. Der Grund für das „Auswandern“ war nicht Flucht, um vor irgendwas Ungesetzlichem zu verschwinden.  Es geschah auch nicht aus dem Grund um ab dem Moment, wo ich hier lebte mit den mir damals zu Verfügung stehenden Mitteln ein sorgloses Leben führen zu können. Ich hatte zuvor in meiner alten Wahlheimat Schweiz sehr lange und recht recht gut gelebt und dafür sehr viel gearbeitet. Viele meiner alten Schweizer Facebookfreunde wissen das.

Der Grund zum Weggang nach Samana basiert auf dem guten Rat meines damaligen Hausarztes. Der hatte mir damals nach einer Routine Rundum – Untersuchung, die man mit dem erreichen des vierzigsten Lebensjahres gerne macht, schlicht erklärt, dass ich mein Leben grundlegend ändern müsse. Der Grund sei

  • zuviel Arbeit
  • der daraus entstehende Stress
  • der absolut ungesunde Lebenswandel als Gastronom
  • das daraus resultierende Übergewicht
  • die daraus resultierende Kurzatmigkeit
  • oder schlicht das Zuviel an dem guten Leben auf einmal, ohne groß selber darüber nachzudenken

Das ich seiner Meinung nach genau aus diesen Gründen relativ schnell vor die Hunde gehen würde, wenn es mit mir so weiterginge. Ein sehr netter und offener Mensch, mein Hausarzt. Er meinte, es gäbe zwei Möglichkeiten – friss weiter und stirb oder mach was ganz Anderes! Nun, mein Hausarzt war damals auch mein Freund. Ein im Jahr zuvor mit meiner damaligen Frau verlebter Jahresurlaub auf der Halbinsel Samana brachte mich letztendlich auf die entscheidende Idee, hier leben zu wollen. Ein echtes Bauchgefühl. Was für eine tolle Ecke auf der Welt. Ich folgte also dem Rat meines Hausarztes. Ich tat das trotz vieler Bedenken anderer, für mich damals zum Teil sehr wichtiger Menschen. Vor allem auch unter den Bedenken meiner damaligen Geschäftspartner.

Es war also kein einfacher Wechsel in eine vermeintliche Freiheit, sondern im Nachhinein war es das Ende einer persönlichen Aera. Es folgte nun etwas, was die einen Verantwortungslos nennen würden und was ich heute als eine Art Transformation bezeichne. Denn es geschah sehr viel. Wo gehobelt wird, da fallen Späne sagen die einen, oder wo ein Wille ist, da ist ein Weg! Das meinen die Anderen. Es ging mir persönlich darum, diesen eigenen Weg vor Ort zu finden. Ein Lebens - Weg ist leider keine mathematische Gerade, sondern etwas bereits zuvor Entstandenes. Man folgt seinem Weg und der kann auch der sprichwörtliche Holzweg sein! Das muss man aber erst mal selber merken. Oder nennen wir es anders, sowas muss man schlicht lernen. Lernen ist und war für mich immer etwas Tolles, aber so was geschieht bekanntlich nicht von heute auf morgen! Ich bin eh der Meinung, dass man nie ausgelernt hat. Und so übte ich vor allem eines, hier irgendwie klarzukommen. Das ist sehr schwierig. Das sogenannte Exotische ist gar nicht so exotisch, denn man bewegt sich schlicht auf unbekanntem Terrain. Das ist die Exotik. Wer das Gegenteil behauptet, der kann das gerne behaupten – mein Resümee ist, das es nicht einfach ist. Aber das liegt an einem selber.

Man kann so einen Neuanfang auf verschiedenen Arten angehen. Das einfachste ist unter anderem, auf ebenjene zu hören – auf die Anderen. Auf diejenigen, die das bereits gemacht und vermeintlich geschafft haben. Oder anders gesagt, es war und ist eine der Lieblingsbeschäftigung all der Anderen. Sie wussten stets alles besser und das jeder auf seine persönliche Art. Schließlich war man selber der sogenannte „Neuzugang“  und hatte keine Ahnung vom Leben vor Ort. Man glaubt zeitweise, dass man auf den guten Rat und die  Hilfe dieser „alten Hasen“ angewiesen ist. Und etwas vom Schwierigsten war es für mich, hier ein gesundes Maß zu finden oder zu lernen, zu hier genau zu differenzieren. Heute weiß ich, wenn ich Las Terrenas damals anders angegangen wäre, hätte ich mir sicher so manches ersparen können. Es wäre alles anders gekommen. Ob besser oder schlechte, weiß man nicht. Zumindest aber anders! Trotz allem möchte ich heute nirgends wo anders leben als hier. Das sogenannte „Grounding“  kam sehr schleichend! Zuerst musste so viel von mir über Bord geworfen werden - geistiger Ballast, alte Gewohnheiten, der Dünkel, eingebürgerte Denkweisen, falsche Ansichten, verquerte Einstellungen, angelernte Helvetismen, überholte Wertvorstellungen, vermeintliche Glaubensfragen, nahezu das ganze bisherige Weltbild. Ich habe das fast alles auf den kopf gestellt und es ist immer noch kein Ende in sicht. In ein paar wenigen Dingen bin ich mir jedoch treu geblieben, andere sehe ich heute komplett anders als zuvor.

Ich bin mir z.B. in der Ansicht treu geblieben, dass der jeweilige Mensch das Maß der Dinge ist. Also man selber! Denn was ein Mensch tut, resultiert immer aus dem, wann, wo und wie er lebt. Unser Leben wird von unserem Umfeld beeinflusst und auch entsprechend geprägt, weil wir ein Teil davon sind. Und sowohl hier wie auch da, bleibt sich eines gleich. Die einen tun, was sie tun müssen, ohne die Regeln dabei bewusst zu verletzen. Andere Menschen, die sich bewusst über ihr eigenes Umfeld sind, versuchen ständig, sich über diese einengenden Regeln zu erheben. Oder anders gesagt, es sind Leute, die gerne nachhelfen, um mehr als das Beste aus ihrem Leben zu machen und die geltenden Regeln akzeptieren sie eigentlich nicht oder sie betrachten sie lediglich als umgehbare und somit überwindbare Hürden.

Ein Bankräuber überfällt dann eine Bank, wenn er zu wissen glaubt, wann und wie er das am sichersten machen kann. Das mit dem Gesetz und den einzuhaltenden Regeln hat er bereits hinter sich. Wird er geschnappt, dann war der Moment falsch, er wurde erwischt und hat ein echtes Problem. Jetzt muss er dieses Problem lösen – also bracht er genug Einfluss oder Geld und „sein“ Problem hat sich so für ihn gelöst. Das Spiel beginnt von neuem. Hat es aber geklappt, fragt es sich bloß, ob sich das nun für ihn gelohnt hat. Für ihn im Moment des „Erfolges“ auf jeden Fall. Somit glaubt er an weitere gute Momente. Er geht von nun an seinen selbst gewählten Weg und irgendwann klappt es nicht mehr. Wenn nun auch kein Schmiergeld mehr nutzt, dann fragt er sich, was denn nun los ist. Und das dies passieren könnte, ist sehr unwahrscheinlich, denn er lebt in der Dominikanischen Republik. Wir sind nicht alle Bankräuber, das war nur ein Beispiel.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Es ist kurz vor Weihnachten. Und wie alle Jahre wieder schnellen da die Erwartungen der Leute in die Höhe. Das ist so, als hätten wir das seit 2011 Jahren in den Genen. Wir erwarten Geschenke und wir schenken selber. Was wir anderen schenken, hat mit den Mitteln zu tun, die wir dazu einsetzen oder die uns dazu möglich sind. Sprich, wir Menschen denken in diesem Zusammenhang in erster Linie an Geld. Denn alle materiellen Dinge kosten Geld. Wir packen diese materiellen Dinge an Weihnachten in buntes Papier. Wir geben sie im vermeintlich richtigen Moment dem Menschen, für den dieses Geschenk gedacht ist. Als Gegenleistung erwarten wir Dank, so was wie Freude oder je nach Beschenktem ein entsprechenden Gegengeschenk. Das ist nur allzu menschlich und den meisten geht es so. Einmal im Jahr ist Weihnachten. Oh du Fröhliche! Das Fest der Liebe ist das Fest des Geldes, des höchsten Jahresumsatzes und der Dezember ist der Monat mit den höchsten Diebstahl und Einbruchsraten. Danach flaut dieses Fieber auf ein erträgliches Maß ab. Wer nun meint, das sei nicht wahr, der belügt sich selber.

Szenenwechsel. Was sagt eine von ihrem dominikanischen Sohn zu Weihnachten beschenkte dominikanische Mutter zu dem neuen, schicken und topaktuellem Mobiltelefon als Weihnachtsgeschenk? Sie weiß genau, dass der Sohn sich das von seinem eigenen Geld nie leisten kann?  Diese Mutter ist eine gläubige Katholikin, wie so viele in diesem Land. sie geht regelmäßig in die örtliche Kirche. Sie ist ein anerkanntes Mitglied der Gemeinde. Mit Sicherheit weiß sie, dass dieses Geschenk jemand anderem zuvor gestohlen wurde. Eventuell kennt sie ihren Sohn so gut und weiß zumindest, dass nicht er es jemandem persönlich gestohlen hat. Er hat es nur für wenig Geld irgendeinem Hehler abgekauft. Für die Mama zu Weihnachten. Besonders an Weihnachten gibt es davon mehr als genug. Freut sie sich, oder macht ihr das nun ernsthafte Gedanken? Ein alter Spruch sagt, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, das dies hier Gang und gebe ist. Jeder hier weiß das. Ich lebe wie gesagt schon eine ganze Weile hier! Soll oder muss ich diese Menschen deswegen nun verachten?

Soll ich die Menschen in „Cuerva de Aqua“ dafür verachten, weil sie seit sehr langer Zeit auf fremdem Land gewohnt haben und sie wussten, dass dieses Land ihnen nicht gehört. Trotzdem haben sie mit ihrem Geld ihre Häuser dort gebaut. Oder soll ich besser nur die paar Leute unter ihnen verachten, die wissentlich eben genau dieses Land ohne gültigen Titel an andere „Investoren“ weiter verkauft haben. Denn auch diese konnten sich doch eigentlich denken, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Und diejenigen, die Geld dafür bezahlt haben und es trotzdem gekauft haben, die wussten wirklich nichts von der Sache? . Soll ich jetzt einen Staat oder ein Land verachten, in dem so was überhaupt erst im grossen Stil möglich ist? Oder soll ich jetzt die ausführenden Polizisten verachten, die ihre „Pflicht“ getan haben und diesen Menschen im staatlichen und gesetzlichen Auftrag unwiederbringlich ihr Haus und Hof zerstört haben? Oder soll ich die Auftraggeber dieser Aktion verachten, die angeblichen Besitzer, die über 20 Jahre mit dieser Aktion gewartet haben. Das sind diejenigen, die es ohne Probleme mit sich selbst verantworten können, dass da jetzt fast 400 Menschen von heute auf morgen obdachlos geworden sind und die auch zuvor fast nichts zum Leben hatten. Das sind zum Teil die ärmsten der Armen. Oder soll ich all die anderen Leute hier und überall verachten, die jetzt vollmundig von Gesetzen reden, die hier nun nach so vielen Jahren endlich zum tragen gekommen sind und die da schreien, das dieses Land anscheinend doch ein Rechtstaat sei. Sorry, all das passt nicht zusammen. Hier haben so gut wie alle versagt oder man kann keinem einen Vorwurf machen. Fazit ist, das es das Dorf jetzt nicht mehr gibt, egal wer die Schuld dran trägt.

Ich rede von Doppelmoral. Ich rede von Ignoranz, von Dummheit, von Geldgier, von Korruption, von Rückständigkeit. Und ich rede davon, dass hier nicht nur ein Dorf oder eine Gemeinde zerstört wurde. Hier wurde viel mehr zerstört.

Glauben sie, dass ich unter diesen Voraussetzungen mit ihnen als Tourist in diese Gegend fahren würde, die zwar auch jetzt noch zu den schönsten und wildesten Regionen der Halbinsel Samana gehört. Wie oder warum soll ich ihnen erklären, was hier passiert ist. Denn die Trümmer liegen da und daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Der Auftrag ist ausgeführt und nach ihm die Sintflut. Es gibt Menschen, die da jetzt erst recht hinwollen. Nicht nur wegen dem Nasenloch des Teufels, sondern um diese Tragödie life vor Ort zu sehen und diese zu fotografieren. So wird aus der Tragödie eine perverse Touristenattraktion. Die einen werden denn reflektieren – oh mein Gott diese armen Leute, andere sagen, recht so – das ist die gerechte Strafe.  Jeder wird seinen Senf dazu abgeben, was jedoch nichts an der Tatsache ändert.

Für mich ist das Nasenloch des Teufels ab sofort tabu! Es tut mir leid – ich mach das nicht und will das nicht. Für mich ist diese Region, so schön sie auch ist, derzeit ein Kriegsschauplatz. Und ich habe ehrlich gesagt Mühe mit allen Tourveranstaltern, die jetzt trotzdem noch mit Gästen dorthin hinfahren und denen es scheinbar nichts ausmacht, all diese zerstörten Häuser links und rechts der Strasse liegen zu sehen. Denn Geschäft ist Geschäft und darum geht es diesen Leuten. Genau hier hört mein Verständnis auf. Diese Dickfelligkeit ist eine der Schattenseiten – so oder so.

Apropos Holzweg! Morgen werde ich mein jetziges Domizil bei Juan und Lulu verlassen. Ich ziehe zu meiner Lebenspartnerin Norma und werde ab morgen einen neuen Samana - Lebensabschnitt beginnen. Das wollte ich im Grunde sowieso, nur nicht unter den aktuellen Umständen. Diese verdanke ich aktuell zum großen Teil jemandem, für den ich bis vor kurzem, kurz und seriös journalistisch gearbeitet habe. Derjenige ist schlicht unseren finanziellen Vereinbarungen nicht nachgekommen. Er habe viel Pech gehabt und mir fehle das dazu nötige Verständnis. Denn er ist seiner Meinung nach kein „Böser Bube“ – der bin ich, weil ich nicht solidarisch das Genick eingezogen habe und z.B. so was wie das hier verlautbare.  Der sogenannte Witz an der Sache ist, dass derjenige kein „böser“ Dominikaner ist sondern ein „ehrbarer“ Eidgenosse. Also ein Schweizer, der nicht hier in der dominikanischen Republik lebt, aber gerne engagiert von anderen über dieses Land und Haiti schreiben lässt. So einer ist jemand, der seiner Mutter sicher kein gestohlenes Mobiltelefon zu Weihnachten schenken würde. Er ist einer von den Leuten, die eigentlich nur Gutes im Schilde führen. Das er in meinem Fall durch seine schwierigen und persönlichen Umstände mich in missliche Umstände bringt, mag zwar sein ist aber nicht relevant. Denn er hat ganz andere Probleme und man muss doch  ganz viel Verständnis und noch mehr Goodwill zeigen. Ansonsten fühlt er sich hintergangen und verraten in seinem Bestreben, das Richtige zu tun. Darum nennt man diese Menschen auch „Gutmenschen“. Fröhliche Weihnachten wünsche ich derweil allen Lesern, denn ab morgen muss ich sehen, wie ich von dort online gehen kann. Es gibt ja bekanntlich auch Internetcafes. Irgendwas wird sich das ergeben, aber es herrscht jetzt erst mal Funkstille meinerseits. Das gilt auch für weitere News zu unserem Projekt „la Casa de Norma“. Sollte jemand Interesse haben, findet er dort so etwas Altmodisches wie Telefonnummern. Oder er kann mir was via Marc Braukmann oder andere Leute aus Las Galeras etwas ausrichten lassen – denn die Buschtrommeln funktionieren auch hier.

1 Kommentar:

  1. Colmar-Andreas Serra22. November 2011 um 12:22

    Hallo Bernd, sehr informativ. Was mich als selbst Betroffenen interessieren wuerde, ist, wer sollen die Besitzer vom Land in Cueva de agua sein, wenn dort seit Jahrzehnten diese paar Grossfamilien gelebt haben. Vor cerca 8-10 Jahren hatte der 'Abogado de Estado' die Raeumung gestoppt, nachdem er dort war und sah, dass dort eine gewachsene Gemeinschaft lebte. Angeblich sind die Besitztitel Nr. 101 und 102 mit Hilfe von Luftaufnahmen und nicht durch rechtmaessiger Vermessung erstanden worden. Hast Du Kontakt zu den 'Geraeumten'? Wuerde gerne Kontakt mit 'Negro' und 'Cuto' aufnehmen? erreiche sie nicht unter ihren nbisheigen Nummern. Viele Gruesse. Colmar-Andreas von Ecotopoia, Las Terrenas

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